Bericht des Dekans, Magister Leif M. Brander, zum Massenausbruch einer Erkrankung auf der Burg Wachtenharg

Beauftragung

Im 11. Monat des Jahres 524 nach dem Chaos erreichte die Akademieleitung über einen Boten des Kronrates der Auftrag einen epidemieartigen Krankheitsausbruch auf Burg Wachtenharg zu untersuchen.

Angesichts der Besonderheit der Örtlichkeit dieses Ausbruches entschloss sich der Dekan, die Expedition selbst zu leiten.

Die Reisevorbereitungen mitgerechnet, konnte die Burg innerhalb von 7 Tagen erreicht werden.

Mit dem Dekan reisten die Dozentin Magistra Dott. Rubia Thorindur und drei Studiosi.

Die Situation vor Ort

Vor Ort requirierte die Expedition Räumlichkeiten in einem Nebengebäude der Burg. Während die Studiosi das Feldlazarett einrichteten, begaben sich die Dozenten zum Kommandanten.

Die Burg befindet sich im Besitz des Ordens von Schwert und Kelch, die aktuelle Besatzung stellt der Einhornorden. Die Sollstärke war von 55 Mann bereits auf 50 Mann durch 5 Todesfälle reduziert worden. Zum Zeitpunkt des Eintreffens der Untersuchungsgruppe waren nur knapp 20 Mann uneingeschränkt einsatzfähig. Weiterhin befinden sich noch ca. 20 Bedienstete auf der Burg, die nicht dem Orden angehören.

Die Krankheitsverläufe ähnelten sich dem Vernehmen nach in groben Zügen:

Auf ein uncharakteristisches Prodromalstadium mit Abgeschlagenheit, teilweise Fieber, Gliederschmerzen, folgte ein in seiner Form recht unterschiedlich anmutender Hautausschlag. Gehäuft lagen derbe und im Verlauf zerfallende Hautläsionen vor. Angeschwollene Lymphknoten waren nicht druckschmerzhaft. Nach Wochen ging dieser Verlauf in ein generalisiertes Stadium über, mit unterschiedlichen Hauteffloreszenzen, teils makulösen oder papulosquamösen Exanthemen, breiten Kondylomen sowie Enanthemen. Erstaunlicherweise heilten die Läsionen unter einfacher Pflege ab, nur um einige Wochen später wieder an anderer Stelle aufzuflammen. Die ersten fünf Todesfälle waren aufgetreten, nachdem die Patienten eine weitere Verschlechterung der Symptome gezeigt hatten, die gegen jede bis dahin versuchte Maßnahme Resistenz zeigte. Es wurden uns Atemnot und Wassereinlagerungen beschrieben, dazu nach kranial aufsteigende Kopfschmerzen mit Nackensteifigkeit, dazu Sehverschlechterungen, überlagert von optischen Halluzinationen. Drei der fünf Opfer waren an plötzlichem Herzversagen gestorben, die beiden anderen hatten wochenlang im Delir gelegen und waren schließlich in geistiger Umnachtung verschieden.

Beginn der Untersuchung

Vor diesem Hintergrund begannen die Untersuchungen mit den folgenden Schwerpunkten:

·       Auflistung der Krankheitsverläufe, Auflistung der nicht betroffenen Ordensleute.

·       Untersuchung der bisher Erkrankten, incl. Eruierung und Evaluation der bisherigen Behandlungen oder Therapieversuche.

·       Akribische Inspektion der fünf Verstorbenen (eine Obduktion war nicht möglich)

·       Inspektion der Burg, der Zisterne (incl. giftkundlicher Examination), der Küche und der gemeinschaftlich genutzten Räume (Kapelle, Unterkünfte, Speisesaal, Stallungen, Badestube, etc…)

·       Abgleich der Tagesabläufe und Versuch der Rekonstruktion von Kontakten.

Es fiel relativ rasch auf, dass eine Gruppe Ordensleute, die sich zu einem gewissen Zeitpunkt nicht in der Burg aufgehalten hatte, keine Symptome zeigte. Dies legte nahe, dass Myasmen als Vektor der Erkrankung ausschieden. Die gesunden Männer wurden trotzdem von den Erkrankten ferngehalten.

Weiterhin waren der Kommandant und seine Stellvertreter nicht von der Erkrankung betroffen.

In den umliegenden Gehöften und Dörfern waren keine Erkrankungsfälle bekannt geworden.

Die zehn bisher erkrankten Ordensleute zeigten Symptome, wie bereits oben beschrieben. Offene Wunden waren meist nässend und mit Eiter belegt oder nekrotisierend. Bei einigen Ordensleuten zeigten sich auch schon Anzeichen einer Sehstörung.

Die Inspektion der Leichen ergab vorerst keine weiterführenden Hinweise, zumal der Todeszeitpunkt schon einige Tage zurück lag und der Verwesungsprozess auch im Eiskeller nicht vollständig aufgehalten werden konnte. Die Expeditionsleitung empfahl daher eine rasche Feuerbestattung, nachdem die Untersuchungsmöglichkeiten ausgeschöpft waren.

Die Burg machte einen weitgehend intakten Eindruck, es waren keine nennenswerten Bauschäden vorhanden. Das Wasser in der Zisterne war von guter Qualität, giftkundliche Nachweise ergaben nur negative Ergebnisse. Die Küche wurde von einem Koch bewirtschaftet, der ebenfalls zu den frühen Erkrankten gehört hatte. Diesem war die Verpflegung der Besatzung unterstellt. Die Besatzung speist gemeinsam im großen Saal, der Kommandant und seine Stellvertreter allerdings ließen sich von zwei Mägden verpflegen, die beide gesund waren. Die Ordensleute sind auf Wachtenharg nicht in großen Sälen, sondern in einzelnen Zellen untergebracht. Dieser Umstand war primam nicht weiter zielführend. In den Stallungen war es zu keinerlei Auffälligkeiten unter den Reit- oder Nutztieren gekommen, die Vorstellung einer Zoonose wurde bald verworfen. In der Badestube stehen den Mannschaften zwei Zuber für jeweils 5 Mann zur Verfügung. Im Schnitt baden die Ordensleute mindestens einmal die Woche, die Frequenz wird hauptsächlich durch die Kapazität limitiert.

Besonderes Augenmerk richtete sich selbstverständlich auf das Dämonentor, allerdings waren in den letzten Monaten keine nennenswerten Vorkommnisse berichtet worden.

Der Tagesablauf des Ordens gestaltet sich jeden Tag in etwa gleich:

Der Tag wird in drei Schichten aufgeteilt, die Ordensleute treffen sich zu Beginn und Ende jeder Schicht zum gemeinsamen Gebet. Eine Schicht übernimmt die Wache am Dämonentor, eine Schicht erledigt Aufgaben in der Burg, incl. Exerzieren und Waffenübungen, und eine Schicht ruht. Gelegentlich reitet eine Gruppe der Besatzung aus. Expeditionen, die bestimmte Vorräte beschaffen sollen sind dann mehrere Tage nicht auf der Burg. Unter der Besatzung herrscht eine ungezwungene Atmosphäre, soweit es die militärische Hierarchie zulässt. Dies geht aber nicht auf Kosten der Ernsthaftigkeit der Aufgabe der Besatzung. Gerade die Wachschicht imponierte immer mit einer stolzen Frömmigkeit zu Beginn ihrer Tätigkeit.

Epidemiologische Ergebnisse

Wir konnten zeigen, dass der Koch die Krankheit nach Wachtenharg eingeschleppt hatte. Er hatte sich höchstwahrscheinlich bei einer Dorfhure – das einzige bekannte Opfer ausserhalb der Wachtenharg, das eruiert werden konnte – bei der Kohabitation angesteckt.

Auf der Wachtenharg entwickelte sich die Seuche dann weiter wie folgt:

Der Koch hatte dann die o. g. Primäraffekte bekommen. Aus Scham und Unwissenheit verbarg er seine Erkrankung und diese schien auch bald wieder abzuheilen. In der Zwischenzeit hatte er aber über seine Hände und die zubereitete Nahrung einige Ordensleute infiziert. Auch diese waren zunächst mit dem, was mit ihnen geschah überfordert. Als ihre Wunden aufbrachen muss sich eine ganze Anzahl der Besatzung über die Badestube und die Badezuber bei ihnen angesteckt haben. Viele Betroffene berichteten über den lindernden Effekt des Wassers.

Wegweisende Befunde:

·       Der Koch war die erste Person, die erkrankte und auch verstarb.

·       Unter den Fingernägeln wurde Schorf aus alten Wunden gefunden. Hier wurde unter Einhaltung der Pietät eine Probe entnommen.

·       Die Probe des Schorfs zeigte unter optischer Vergrößerung fadenförmige Strukturen, wie sie auch deutlicher in frischen Präparaten aus Wundsekret der anderen Patienten gefunden wurden.

·       In einer Wasserprobe aus einem Badezuber konnten bei gemäßigter Temperatur jene fadenförmigen Strukturen noch nachgewiesen werden, kochte man die Probe ab, fanden sich die Strukturen nicht mehr.

·       Die Infektiosität der Schorfstruktur zeigte sich dann in der epidemiologischen Aufarbeitung.

Therapeutische Ansätze

Schon bevor die epidemiologischen Wege bekannt waren, begannen wir mit der symptomatischen Behandlung in Anlehnung der Heilversuche des Ordensfeldschers. Die ursprünglichen Methoden waren ja schon von Haus aus unzureichend gewesen, so dass wir aufbauend auf dem, was der Feldscher bereits versucht hatte, neue Methoden entwickelten. Nachdem z. B. bekannt wurde, wie lindernd die Erkrankten die Wasseranwendung empfanden, versuchten wir Umschläge mit Stinklbrunner Quellwasser, von dem wir vorsorglich ein Fäßchen mitgeführt hatten. Bereits diese Anwendung konnte zeigen, dass die Wunden deutlich weniger Entzündungszeichen aufwiesen und signifikant schneller abheilten. Leider konnte die Anwendung keinen Vorteil beim Wiederaufbrechen der Wunden zeigen, die systemische Anwendung (durch Trinken des Wassers) zeigte gar keine Verbesserungen.

Nachdem sich schon bald erwies, dass die Erkrankung weitergetragen werden konnte, empfahl die Expeditionsleitung der Kommandantschaft Quarantänemassnahmen. Diese Maßnahmen ließen sich relativ leicht erstellen. Die Expeditionsleitung regte auch zeitnah die Anforderungen von Entsatztruppen an, was von der Kommandantschaft aber lange Zeit hinausgezögert wurde. Hier waren einer zeitgerechten Erfüllung einerseits der ritterliche Stolz, andererseits die zwar schmeichelnde aber zu diesem Zeitpunkt noch unbegründete Hoffnung in die Leistungsfähigkeit der Akademiedelegation im Wege.

Weiterhin wurde klar, dass eine systematische Therapie erforderlich war, jedoch widersetzte sich die Seuche vehement. Durch den protrahierten Krankheitsverlauf und die im zweiten Stadium oft beobachteten scheinbaren spontanen Befundbesserungen wurden gelegentlich – vor allem zu Beginn des Einsatzes – Heilversuche überbewertet. Dadurch zog sich der Einsatz, der ursprünglich auf wenige Wochen veranschlagt worden war, bis über den Winter hin.

Ein Durchbruch gelang erst, als die Delegation begann mit Schimmelkulturen zu experimentieren. Es hatte früher schon in manchen Literaturquellen Hinweise gegeben, dass bestimmte Schimmel bei gewissen Erkrankungen Besserungen brächten. Es war Bahamuths Lenken oder der Zufall, dass es sich ergab, dass einer der betreuten Patienten im Delir der Obhut der Pfleger entkam und im Hof bei den Küchenabfällen seinen Hunger zu stillen versuchte. Das Entsetzen ob dieses Vorfalles war immens. Die Wahrscheinlichkeit eines raschen Ablebens wurde bereits in den Raum gestellt. Der Patient bekam zwei Mitbrüder an die Seite gestellt, die für ihn beteten. 

Interessanterweise stagnierte die Befundverschlechterung bei diesem Patienten deutlich rascher und anhaltender als bei den anderen spontanen, zwischenzeitlichen Befundverbesserungen. Das Delir und die Sehstörungen konnten nicht wieder rückgängig gemacht werden, allerdings bildeten sich die Nackenschmerzen zurück und es zeigten sich keine neuen Hautläsionen. 

Nun wurden alle verfügbaren Register alchemistischer Kunst gezogen und verschiedene Schimmelpilze auf mögliche Wirksamkeit und dafür nötige Potenzierung hin untersucht. In der Probe G eines Gießkannenpilzes, der auf Obst hervorragend gedeiht, wurde ein wirkungsvolles Agens gefunden und dieses wurde alsbald den Erkrankten verabreicht. Diese Kur ermöglichte eine stabile Abheilung der Hautbefunde, das neue Aufflammen von Krankheitszeichen wurde verhindert und im April des Jahres 525 n. d. C. konnte Entwarnung und Aufhebung der Quarantäne ermöglicht werden. 

Bei Abbruch der Feldlazarettes waren von 55 Mann der Besatzung

15 Verstorbene zu beklagen,

10 Erkrankte werden dauerhaft dienstunfähig bleiben, ein Berentungsvorschlag wurde eingereicht, und 

10 Patienten begleiteten die Expedition nach Stinklbrunn zurück, um an der Akademie ein Mindestmaß an Einsatzfähigkeit wieder zu erlangen. 

Schließlich soll noch erwähnt werden, daß wir auf der Heimreise befindlich, vernahmen, es habe sich auf der Wachtenharg um einen Ausbruch der vom Volksmund getauften “Kronenseuche” gehandelt haben. Die Expeditionsleitung muss diesem Gerücht grundlegend widersprechen. In der Literatur wurden ähnliche Fälle wie auf Wachtenharg bereits in größeren Städten beschrieben – insbesondere in Hafenstädten. Über den Verlauf liegen gute Berichte vor, allerdings gibt es keine bekannten Heilmethoden. Auch derart epidemische Verläufe wurden bisher nicht beschrieben. 

Abschliessend habe ich mir erlaubt, die Kostenrechnung beizulegen, und möchte höflichst anfragen, wann und wo die Akademia Puteus Putens mit der Zahlung rechnen darf.

Bahamuths Segen über das Königreich, seinen Herrscher und alle, die in seinem Lichte wandeln!

Magister Leif Melchorius Brander

Dekan der Akademie der Heilenden Künste Puteus Putens zu Müller-Thurgau

Baronie Scheyn

Grafschaft Stein

Provinz Aquilda