Das Jahr 526 nach dem Chaos

 Erster Zwischenbericht

des Dekans der Akademie der heilenden Künste Puteus Putens

zur aktuellen Lage des Massensausbruchs einer trawonienweiten Seuche

an den Kronrat von Trawonien



Nachrichtlich an Herzogin Eloana von Karadon

Nachrichtlich an Herzog Eric von Amatyrill

Nachrichtlich an Graf Wilhelm von Sternberg, Provinz Eglin

Nachrichtlich an das Hohe Haus Haschina-Marenheim von Kerdrabol



Im elften Monat des Jahres 525 nach dem Chaos wurde der Akademie ein Ersuchen der Herzogin Eloana von Karadon zugetragen.

 

In der Stadt und der gleichnamigen Provinz Karadon hätte sich flächig eine unklare und mysteriöse Erkrankung breitgemacht. Die Akademieleitung wurde mit Empfehlung durch den Kronrat gebeten, eine Delegation auszusenden und um Aufklärung zu sorgen.

 

Die Vorbereitungen zur Abreise konnten binnen einer Tagesfrist erledigt werden. Es wurde auf die Erfahrungen mit Massenausbrüchen von Erkrankungen von der Expedition 524 / 525 auf der Feste Wachtenhaag zurückgegriffen, was die Vorbereitungen erleichterte.

 

Die Leitung der Expedition oblag dem Dekan, Magister Leif Brander persönlich. Begleitet wurde er von Dott.ssa. Rubia Thorindûr und Magister extra ordine Aaron Borenson sowie Henry Whyte von der Mathemagischen Fakultät. Des Weiteren beteiligten sich 10 Studiosi an der Exkursion.

 

Unter Aussendung von berittenen Vorauskommandos konnte die Expedition zügig mit dem vorraussichtlich notwendigen Material nach Südwesten reisen, wählte den Weg über die Städte Stein, Rothburg, Stelzenfels bis Jagdzell in der Provinz Jerda, um dort nach Kerdrabol überzusetzen. Die Reiseetappen führten dann weiter über die Städte Marken, Dorwen und Narajan. Der letzte Aufenthalt vor der Provinzgrenze war schließlich in Meersund.

 

Auf dem Weg wurden bereits diskret die üblichen Informationsquellen befragt. Von einem größeren Krankheitsgeschehen sprach zu diesem Zeitpunkt in den größeren Städten noch niemand, bis Dorwen war auch kaum Klatsch und Tratsch aus Karadon im Umlauf. Wir werteten dies damals noch als gutes Zeichen.

 

Meersund konnte also nach knapp zehn Tagen von der Expedition erreicht werden. Es wurde dort Unterkunft für eine letzte Etappe nach Karadon genommen und das Vorgehen in der Provinz geplant.

Meersund ist ein mittelgroßer befestigter Küstenort am Kristallmeer im Süden Trawoniens. Es gibt hier Handwerk und selbstredend Fischerei. Handel bewegt sich aus traditionellen Gründen eher in Richtung Fellen und Narajan. Die nächste größere Stadt im Westen ist Leonstal, bereits auf dem Boden der Provinz Karadon und Sitz der Grafen von Leonstal.

 

In Meersund konnten erstmals Neuigkeiten aus der Nachbarprovinz eruiert werden, allerdings nur in eingeschränktem Maße. Die Straße an der Bucht von Meersund wird zwar von den Kaufleuten hoch frequentiert, jedoch halten sich die Reisenden meist nicht lange in Meersund auf und versuchen möglichst rasch nach Nordosten zu gelangen.

 

Über ein ausgeprägtes Krankheitsgeschehen wurde auch hier nicht berichtet, allerdings sei aufgefallen, dass sich deutlich weniger Kaufleute und Reisende auf der Straße nach Fellen und Narajan befänden, was möglicherweise an einer aggressiven Preispolitik von Altersberg liege, und der Möglichkeit mit kleinen Kähnen die Zuflüsse des Jarad hinaufzufahren.

 

Es wurde das Vorgehen wie folgt beschlossen:

 

Ein berittener Bote würde noch am Abend aufbrechen und Quartier für Leonstal organisieren, ein weiterer am Morgen nach Karadon aufbrechen, um die Ankunft der Expedition anzukündigen. Die Expedition selbst würde dann nach Leonstal aufbrechen und auf karadonischem Boden intensivere Erkundigungen einholen.

 

In Leonstal fand die Expedition eine entspannte Situation vor. Verkehr aus der Hauptstadt komme immer  noch regelmäßig durch, von einer Krankheit wurde nicht gesprochen. Dem Hofheiler des Grafen waren ebenfalls keine besonderen Krankheitsfälle zugetragen worden. In der Baronie Ebenthal seien in der letzten Woche allerdings fünf Menschen an einem Lungenfieber verstorben, was aber in dieser Jahreszeit mitunter mal vorkäme. Der Hofmedicus Herzogin Eloanas sollte aber mehr dazu berichten können. Wir erbaten den werten Kollegen um schnellstmögliche Botensendungen, wenn sich ungewöhnliche Krankheitsfälle häufen sollten.

 

Nach drei weiteren Tagen erreichte die Expedition schließlich Karadon selbst. Die Stadt ist an den Ufern des Jarad gelegen, eine Brücke mit einem höchst erstaunlichen Zugmechanismus führt an das jenseitige Ufer nach Wasserhofen. Flache Flussschiffe, aber mittlerweile wohl auch größere Schiffe, passieren die Brücke ohne Probleme. Die Nebenflüsse des Jarad sind bis Stadelbach und Niederstraden beschiffbar und über den Hauptlauf ist der Jarad neuerdings sogar bis hinauf ins Trawonische Protektorat Ronin befahrbar.

 

Bei der Stadt Karadon weitet sich der Flusslauf des Jarad zu einem beachtlichen See, auf dem allerhand Verkehr herrscht. Während morgens die Fischer ihrem Handwerk nachgehen, kommen tagsüber zahlreiche Handelsschiffe. Ankommende Waren wurden teilweise schon in Lohensee umgeschlagen. So kommen auf ein Hochseeschiff bis zu 5 Flussschiffe in Karadon an. Die Reeder sitzen in Karadon und sorgen gleichermaßen wie die Handelshäuser für den Wohlstand in der Stadt.

 

Der Empfang bei Herzogin Eloana gestaltete sich sachlich. Man stellte uns den Hofheiler zur Seite und wies der Delegation die erforderlichen Quartiere zu, wo sie Lazarett und Laboratorien einrichten würden.

 

Es wurden damals in der Stadt 150 Erkranktenfälle gezählt. Darüber hinaus bestünde eine wahrscheinlich nicht zu verachtende Dunkelziffer. Die ersten Fälle waren am Hafen aufgetreten, was einerseits den Schluss nahelegte, die Krankheit sei von den Schiffern eingeschleppt worden, andererseits herrscht am Hafen rege Betriebsamkeit durch die zahlreichen Tagelöhner. Die Verhältnisse in jenem Viertel sind ärmlich, analog zu so vielen Hafenvierteln dieser Welt.

 

Das Viertel sei bereits abgeriegelt worden. Gast- und Hurenhäuser hätten schließen müssen. Verderbliche Waren würden durch ein Lagerhaus an der Viertelgrenze geschleust. Die Stadtgarde muss die Abriegelung durchsetzen. Problematisch sei vor allem, dass der Schiffsverkehr nach Stadelbach und Niederstraden sowie Lohensee ungebremst weiterlaufe. Die Händler und Reeder in der Stadt hatten ihren ganzen Einfluss in die Waagschale geworfen, eine derartige Stilllegung zu unterbinden und Herzogin Eloana setzte diesem Bestreben keinen großen Widerstand entgegen, zumal die Versorgung ihrer Stadt gefährdet war und das Stadtsäckel auch unter einer solchen Maßnahme leiden würde.

 

Vereinzelte Ausbrüche der Krankheit in anderen Vierteln, oder was die Heiler der Stadt dafür hielten, wurden bislang mit dem Vermauern der Haustüren für 40 Tage behandelt.

 

Der Hofmedicus selbst war bislang nicht großartig in Aktion getreten, immerhin war noch kein Angehöriger des Hofes betroffen gewesen. Wenigstens aber hatte er die Berichte der Krankheitsfälle zusammengetragen und konnte der Delegation die Akten zur Verfügung stellen.

 

So konnte diese bereits in den ersten Tagen folgende Fakten zusammentragen:

      • Die Krankheit befällt die oberen Atemwege in unterschiedlicher Intensität.

      • Klassisches Lungenfieber ist selten, allerdings kommt es bei den schwersten Verläufen zu Lungenschleim und langsamer Erstickung.

      • Krankheitsbeginn ist meist mit klassischem Rotz verbunden, der dann aber fulminante Züge aufweisen kann und zu massiver körperlicher Erschöpfung führt.

      • Eindeutige Symptome gibt es nicht, dringender Verdacht sollte aber bestehen bei plötzlichem Rotz mit Fieber, kombiniert mit Verlust des Geruchs- oder Geschmacksinnes.

      • Schwere Verläufe kündigen sich mit produktivem Husten an, während mildere Verläufe Anfälle von Reizhusten mit sich ziehen.

      • Der durchschnittliche milde Krankheitsverlauf ist nach 14 Tagen überstanden.

      • Schwere Verläufe dauerten oft deutlich länger an als die genannte Zweiwochenfrist.

      • Ein Übertragungsvektor konnte bislang nicht ausgemacht werden. (Selbstverständlich warf wieder irgendwer die unvermeidlichen Miasmen auf… Der Dekan dachte eher an eine Form der Mikroparasitose).

      • Erstaunlicherweise wurde die Krankheit bislang in der Masse von Erwachsenen zu Erwachsenen übertragen und nicht, wie der gewöhnliche Rotz, von den Kindern in die Familien geschleppt.

      • Fälle von Kindern verliefen in aller Regel blande, sogar bisweilen kürzer als bei Erwachsenen. Unter den Toten befand sich nur ein verkrüppeltes Mädchen, das schon früher als schwächlich und gebrechlich gegolten hatte.

      • Fälle unter den Erwachsenen verliefen sehr unterschiedlich. Junge, kräftige Männer konnten genau so schwere Verläufe durchmachen, wie Greise mit mildem Verlauf davonkommen konnten. Dennoch zeichnete sich die Tendenz ab, dass ältere und schwächere Menschen eher mit schwerem Verlauf zu Tode kamen.

      • Die Erkrankung hatte rasch um sich gegriffen und es waren mittlerweile Fälle in Wasserhofen, Stadelbach und Niederstraden bekannt, ebenso in Waidegg und Dolrath, welches auf dem Weg nach Rosenburg liegt und das Tor nach Eglin darstellt.

Der Dekan ersuchte Audienz bei Herzogin Eloana und schilderte die ersten Ergebnisse. Nach seiner Auffassung war es notwendig zu empfehlen, die Ortschaften in der Umgebung zu warnen, namentlich alle befestigten und unbefestigten Orte in Karadon. Die Grenzen seien zu schließen und jeder, der sich nicht bei bester Gesundheit befinde, sei für 2 Wochen unter Aufsicht eines Heilers festzusetzen. Desgleichen solle gelten für alle Flusshäfen und Flussübergänge.

 

Zwar wurden noch am gleichen Tage die Boten ausgesandt, allerdings gab man dem Dekan zu bedenken, dass es nicht nur Verzögerungen bei der Nachrichtenübermittlung geben werde, auch mit der wortgetreuen – geschweige denn sinngetreuen – Umsetzung der Befehle dürfte nicht allerorten gerechnet werden. Die Grenze zur Provinz Amatyrill abzuriegeln dürfte allerdings kein Problem werden, gelten doch die nördlichen Gebirge mit ihrer Unzahl von Pfaden und Pässen als schwer passierbar und die Amatyriller Elfen ließen eh niemanden ungebeten in ihre Wälder. Man werde trotzdem einen Boten nach Tir Caleth schicken, dieser wäre aber sicher 2 Wochen unterwegs.

 

Eine Woche später kehrten die ersten Boten zurück und die meisten hatten fatale Kunde aus allen Ecken der Provinz im Gepäck:

      • Die Grenze bei Hochstraden sei dicht. Die Straße und der Flussweg durch Amatyrill nach Ronin sei ebenfalls geschlossen worden. Der Verweser in Altersberg hatte sich zu dem Schritt schnell entschlossen, weil es in der Ortschaft bereits zehn Erkrankte und zwanzig Verdachtsfälle gebe.

      • Ein ähnliches Bild zeichnete sich in Rosenburg ab, allerdings gab der Bote zu bedenken, er habe den Eindruck gewonnen, der Verweser würde die Schließung der Grenzen nach Eglin und Kerdrabol nicht so enthusiastisch durchsetzen wollen. Er hätte geklagt über „Handelsausfälle“ und „er habe keine Männer“ aber „er wolle mal sehen, was er machen könne“.

      • Der Bote aus Muraunberg kehrte mit der schlechtesten Nachricht zurück. In Kittenbach, welches eigentlich zu Rothenthurm gehörte, das aber eine wichtige Etappe entlang des Flusslaufes nach Muraunberg darstellt, seien ebenfalls zahlreiche Neuerkrankungen nach einer großen Hochzeit aufgetreten. Ein Händler aus Kittenbach wollte wohl seine Verbindung mit einem Kollegen in Lohensee intensivieren und hatte seinen Sohn mit dessen Tochter verehelicht. Etwa eine Woche nach der Feier, die sich über drei Tage hingezogen hatte und bei der zahlreiche Kittenbacher und Lohenseer ausgelassen gefeiert hatten, lagen nun eine beträchtliche Menge der Hochzeitsgäste im Fieber, darunter Braut und Bräutigam, der Brautvater und die Mutter des Bräutigams. Der Hafenmeister von Lohensee hatte ob dieses Ereignisses den Hafen gesperrt und der Rückgang der Schifffahrt auf dem Jarad war bis Karadon zu spüren.

Mittlerweile kommen nur noch Katastrophenmeldungen aus allen Richtungen der Provinz:

 

Die Anzahl der Erkrankten in der Stadt Karadon beträgt momentan 250. Wir zählen 70 Tote und immerhin 100 Genesene.

 

Die Behandlung gestaltet sich schwierig, da die beteiligten Heiler von einer völlig neuen Entität ausgehen müssen und die bisherige Behandlung nur zur Kontrolle der Symptome beiträgt.

 

Noch immer bedeutet ein schwerwiegender Verlauf extremen pflegerischen Aufwand und alle heilerische Kunst – oft genug ohne Erfolg.

 

Ausgesandte Boten bringen mittlerweile Kunde, dass auch in den anderen Provinzen Fälle auftreten und sich ausbreiten. Man scheint die Seuche in den anderen Provinzen des Reiches nach der Provinz Karadon benannt zu haben, weil sie sich wohl von hier verbreitete. Allerdings scheint es auch als setzten sich Verballhornungen durch: Karadonseuche, Koradonseuche, Kormoranseuche, Korodanseuche, Koronenseuche oder gleich gar Kronenseuche. Die Menschen haben Phantasie…

 

Die größte Sorge des Dekans gilt seiner Delegation und deren Schutz. Aus diesem Grund haben die Heiler Tücher gefertigt, die sie sich vor das Gesicht binden. Aktuell scheinen sie ihren Dienst zu tun.

 

Im Labor laufen die ersten Experimente mit verschiedenen Ansätzen; manche sind vielversprechend. Magister Aaron experimentiert momentan mit Melisse, Rosmarin, Nelken und Alraune. Dekan Leif hat großes Vertrauen in seine Fähigkeiten.

 

Morgen steht die Verlegung des Lazaretts an: Vor den Stadttoren wurde von den Händlern Karadons ein Zeltdorf errichtet, in dem es den Heilern der Akademie an nichts fehlen wird und welches bedarfsgerecht angepasst werden kann. Hier können die Heiler vor allem auch den Zustrom an Erkrankten abfangen, die aus allen Richtungen zur Stadt strömen.

 

Es wurden dem Dekan alle Heiler der Stadt zur Koordination unterstellt und alle Feldscherer, Bader, Zahnbrecher und Hebammen, die im Umkreis zu finden sind. Somit verfügt das Feldlazarett über knapp 200 Personen medizinisches Personal.

 

Dekan Leif Brander hat für die nahe Zukunft folgende Ziele gesteckt:

      • Eindämmung der Seuche in der Provinz Karadon und Reduktion der Fallzahlen bzw. der Neuansteckungen.
      • Abmilderung aller Verläufe durch geeignete Trankmixturen.

      • Übergabe der Koordination an den Hofheiler der Stadt Karadon incl. des Auffanglagers / Feldlazarettes.

      • Rückkehr der Delegation nach Stinkelbrunn und weiteres Vorgehen entsprechend der aktuellen Lage.

Karadon im 3. Monat des Jahres 526 nach dem Chaos

Gesundheit und Wohlergehen dem König und dem Kronrat!

Für die Akademie zu Stinkelbrunn,

 

Leif M. Brander

Dekan der Akademie der heilenden Künste zu Stinkelbrunn aus dem Lehen Müller-Thurgau

Delegationsleiter zu Karadon