Das Jahr 530 nach dem Chaos

Januar im Jahr 530 n.d. Chaos

 

Das neue Jahr beginnt mit einer traurigen Nachricht aus dem besetzten Terwan. Hinter den feindlichen Linien operierende trawonische Freischärler haben die Gegend um das Dorf Dornberg, Heimat des Fähnlein und dem ehemaligen Austragungsort der Alltrawonischen Pompfballmeisterschaften, erkundet und dort nur noch Trümmer und Schutt vorgefunden. Die Dunklen Horden haben dort gewütet und diesen wunderschönen Ort dem Erdboden gleichgemacht. 

 

Bahamuth sei es gedankt, dass zumindest die Einwohner Dornbergs kurz vor dem Einfall der Dunklen in der Feste Lichtenmeer Zuflucht gefunden haben. Es scheint, als sei das Fähnlein kürzlich aus Mythodea in seine alte Heimat zurückgekehrt und das gerade zur rechten Zeit, um den Menschen hier beizustehen und vor der herannahenden Gefahr zu warnen. Doch das Dorf Dornberg, so wie man es kannte und liebte, gibt es heute nicht mehr.

 

Der inzwischen sehr starke Schneefall hat den Krieg in Teilen des Landes zum Stillstand gebracht. Sogar die Dunklen können im Tiefschnee nicht schnell vorrücken und auch sie brauchen in der Kälte der Nacht die Nähe ihrer Lagerfeuer. 

 

Nur im Norden, in Falden, wird vom unerbittlichen Vorstoß mehrerer Bakuure des Feindes berichtet, die sich unermüdlich weiter den Weg durch den Schnee nach Norden bahnen. In der Nähe des Flachweihers wurden sie zuletzt gesehen, als sie das zugefrorene Gewässer überquerten und in der Ferne verschwanden.

 

Der Herzog von Ridan, Leomar II von Hohenrechenberg, hat zum Jahreswechsel offiziell die Amtsgeschäfte von seiner Mutter übernommen, die bislang an seiner statt regierte. Mit nunmehr zwanzig Jahren ist er nun der alleinige Herrscher der Provinz Ridan und Großherzog von Nalven, Ridan und de facto Herrscher über den südlichen Kerarwed. In seiner ersten Ansprache an das Volk hat er die Einheit des Reiches gegen die Dunkle Bedrohung aus dem Osten beschworen und den Opfern des feigen Angriffs auf Ridan die uneingeschränkte Unterstützung seines Hauses versprochen. Die Mutter des Herzogs Fürstin Migrane de Uhlan von Hohenrechenberg und ihr Mann Nicholas von Brunn, der Herzog von Nalven haben den Stammsitz der Familie von Brunn in Nalven bezogen. 

 

Es wird erwartet, dass Herzog Leomar II im März das erste Mal offiziell an einer Sitzung des Kronrates teilnimmt. Mit großen Erwartungen hält der Hof in Aquilda den Atem an, ob nun endlich wieder Normalität in die Beziehungen mit dem Süden einkehrt oder ob Leomar II es seiner Mutter gleichtut und auf Konfrontationskurs mit dem Norden geht.

Februar im Jahr 530 n.d. Chaos

 

Die trawonische Armee aus dem Westen kommt in Terwan auf Grund der immer noch anhaltenden schweren Schneefälle nur langsam voran. Dabei hat sie die Frontstellungen der trawonischen Verteidiger bei Kornten allerdings endlich erreicht und die erschöpften Truppen dort können sich etwas erholen. Die Dunkle Armee war leider nicht untätig und hat diesen Frontabschnitt in den letzten Wochen mit Gräben und aufgeschaufeltem Schnee befestigt. Es kam an diesem Frontabschnitt nur zu vereinzelten Gefechten, aus denen niemand so recht als Gewinner hervorging. 

 

Die Burgen des Achenar Ordens, die Werthenharg und die Schildharg am Arwed, sowie die Stauffenburg und die Burg Marschen am Rande des Sumpfes im Osten Terwans werden noch immer von den Dunklen belagert. Bislang vermeldete aber keine der Festungen eine kritische Versorgungslage. Es wurde berichtet, dass der Kontakt zu Burg Marschen in diesem Monat abgebrochen sei. Allerdings muss das nichts bedeuten, da das Wetter für Brieftauben momentan nicht gerade ideal ist und die Dunklen immer wieder versuchen, die geflügelten Boten abzufangen.

In Falden rücken dunkle Verbände weiter auf breiter Front vor. Zwar ist deren Vorankommen durch den Schneefall verlangsamt, aber man befürchtet, dass man den Vormarsch erst bei Flachweiher aufhalten könne. Dort ist der einzige Punkt, an dem man den von Süden kommenden Tiefenbach durchqueren kann.

 

Aus Xanadien wurde von tiefschwarzen Rauchschwaden aus dem Nordwesten berichtet, die nun schon  seit einigen Wochen zu sehen sind. Immer wieder treibt der Wind sie nach Osten und der Himmel über weiten Teilen des Protektorats wird ständig verdunkelt. Als Ursprung geht man von mehreren Waldbränden aus, die in Ihrem Ausmaß immens sein müssen. Wie schlimm die Brände wirklich sind, lässt sich nach den Berichten nicht mit Sicherheit sagen.

 

Die Front am gesamten Kibbenal ist weiter stabil und die Dunklen scheinen es sich auf ihrer Flussseite regelrecht gemütlich gemacht zu haben. Man beobachtet die Errichtung von Feldlagern und Befestigungsanlagen nahe den ehemaligen Übergangsmöglichkeiten.

 

Beunruhigend ist allerdings die Nachricht von vereinzelten Dunklen, die hinter den trawonischen Linien westlich des Kibbenals gesichtet wurden. Es gab zwar bisher keine Gefechte und auch keine Sichtung von größeren Kampfverbänden, aber Varai Chi oder Ashendrey im Hinterland sind eine nicht zu unterschätzende Bedrohung.

 

März im Jahr 530 n.d. Chaos

 

Die Trawonische Armee hat versucht die Stellungen der Dunklen in Terwan nahe des Ortes Dreytor zu durchbrechen um dort bis zum Arwed vorzustoßen. Die feindlichen Truppen müssen diesen Vorstoß allerdings erahnt haben und haben dort massive Gegenwehr geleistet. Es gab auf beiden Seiten Verluste, die Front hat sich dabei aber nicht viel verschoben. Auf der ganzen Breite dieses Abschnitts kam es die letzten Wochen immer wieder zu kleineren Scharmützeln, aber das langsam einsetzende Tauwetter hat den Boden mehr und mehr in eine Schlammwüste verwandelt und somit ist an einen Großangriff von beiden Seiten her im Moment nicht zu denken. 

 

In Falden hat der Vorstoß der Dunklen wie erwartet den Tiefenbach und das Dorf Flachweiher erreicht. Die dortige Furt durch den Flachweiher ist aber durch den angestiegenen Flusspegel unpassierbar. Ein Teil der Dunklen Armee scheint sich dennoch auf eine baldige Querung vorzubereiten, während sie weiter im Osten nach Norden in Richtung der Burg Avendor des Ordens der Gerechtigkeit vorrückt. Die Brücke bei Smallbridge wird derzeit von Einheiten des Ordens der Gerechtigkeit und der Faldener Armee befestigt. Man kann nicht ausschließen, dass die Dunklen dort einen massiven Angriff planen.

 

Im Kerarwed wurden Dunkle in der Nähe von Soransbrunn gesichtet, die sicher aus dem Osten des Kerarweds gekommen sein müssen. Dies ist sehr ungewöhnlich, da Soransbrunn relativ weit von der Front entfernt ist und keinerlei strategische Relevanz besitzt. Die Grenze nach Terwan ist nämlich gut gesichert und kann nicht so einfach überquert werden.

 

Ein außergewöhnliches Ereignis gab es am 19. März in den Mittagsstunden. Aus dem ganzen Reichsgebiet haben mich Augenzeugenberichte erreicht, dass man ein sehr helles, fast schon gleißendes Licht sehen konnte, welches sich am Himmel langsam von Norden nach Süden bewegte und dann über dem Meer verschwunden ist. Niemand konnte sich einen Reim darauf machen. War dies ein Zeichen unseres Herrn Bahamuth? 

April im Jahr 530 n.d. Chaos

 

Der Frühling ist nun vollends im Trawonischen Reich angekommen, der Schnee ist fast überall geschmolzen und nur noch die hohen Pegelstände der Flüsse und Seen zeugen von ihm. Endlich scheint das Licht unseres Herren Bahamuths wieder mit strahlender Wärme auf uns herab und gibt den müden und von Kälte geplagten Kämpfern unserer Armee neuen Mut und Hoffnung.

 

Noch immer ist in Terwan kein Vorankommen für die Trawonische Armee. Die Frontlinie auf Seiten Dunklen ist inzwischen gut befestigt und die Marschälle haben sich deshalb zurückgezogen, um eine neue Strategie zu besprechen. Man wird sehen, was der nächste Monat bringt.

 

Am Flachweiher stehen sich die beiden Armeen gegenüber. Noch führt der Tiefenbach Hochwasser, aber man rechnet damit, dass die Furt in ein bis zwei Wochen wieder passierbar sein wird. Weitere Truppen aus dem Nordwesten des Reiches sind inzwischen bei Smallbridge eingetroffen und haben den Befehl, diesen neuen Verteidigungsabschnitt unter allen Umständen zu halten. Die umliegenden Dörfer, die auf der gedachten Route des Feindes liegen, wurden bereits im März evakuiert und nach Avendor gebracht, wo man sich auf eine mögliche baldige Belagerung vorbereitet.

 

Gute Nachrichten gibt es auch aus der Burg Marschen: der Kontakt zur Garnison ist wiederhergestellt. Scheinbar waren die Brieftauben einfach nicht durchgekommen, sei es auf Grund der schlechten Witterung oder dem guten Auge unserer Feinde. Der Seuchenausbruch wurde endlich eingedämmt und die Versorgungslage ist noch immer gut.

 

Aus den anderen belagerten Burgen Terwans ist mittlerweile aber bedenkliches zu vernehmen. Die Vorräte für den Winter sind langsam aufgebraucht und es wurde teilweise schon auf Viertelrationen umgestellt. Die Schiffe der Arwedverteidigung kommen aus Falden im Norden nicht weiter als bis zur Festung Lichtenmeer und das auch immer öfter nur unter schwerem Beschuss. Von Süden her ist die Trawonische Flotte nicht in der Lage, sich die Hoheit über die Arwedmündung zu erkämpfen und nach Norden zu segeln.

 

Nachtrag: Die belagerten Festungen im Kerarwed wurden bereits im März aufgegeben, die Garnisonen mit Schiffen bei Nacht evakuiert und zum Flusshafen bei Burg Leuchtenmoos gebracht. Die Unternehmung war wegen der wachsamen Limesbesatzungen trotz der Dunkelheit äußerst gefährlich. Durch anhaltenden Feindbeschuss hat die Armee mehr als eine Handvoll Schiffe verloren. In Seenot geratenen Soldaten konnten von anderen Schiffen aufgenommen werden, doch die genaue Anzahl an Verlusten wird sich erst in einiger Zeit herausstellen. Die Arwed-Festungen Nordwall, Kandara, Ostwall und Südwall sind seither in dunkler Hand.

Anfang Mai 530 erreichten folgende Aufzeichnungen die Hauptstadt Aquilda und verbreiteten sich in kürzerster Zeit im ganzen Trawonischen Königreich und darüber hinaus.

 

Aufzeichnungen des Markus von Sperlingsberg,

Ritter des Ordens des Achenar

 

Bericht über den Feldzug der Fehdearmee des Tool’Shar Nai Sha’ids aus dem 46. Kreis der Macht nach Mortem-Amatyrill

 

Dies sind die Geschehnisse der vergangenen Tage und Wochen, die ich anhand meiner Aufzeichnungen niederschreiben und zu einer Geschichte formen werde. 

 

In meiner Funktion als Beobachter des Orden Achenars wurde ich der Fehdearmee des Tool’Shar Nai Sha’id aus dem 46. Kreis der Macht im September 529 n.d.C. zugeteilt und begleitete diese auf ihrem Feldzug in das ehemalige Grünland.

 

Die Rückkehr des Sha’ids aus dem fernen Y’ziriel war für Torog Nai eine Begebenheit, die niemand hatte kommen sehen. Umgehend begann er damit, sich auf den direkten Befehl des Imperator Askahain berufend, eine Fehdearmee aus den Besatzungstruppen Nai’ti’Q’lons zu formen. Diese solle er gegen das Heilige Reich des Mortem und seine Verbündeten in den Waldgebieten des ehemaligen Grünlands führen.

 

Mit einem an Besessenheit grenzenden Eifer, wie er wohl nur einem gefühllosen Untoten innewohnt, hat er in kürzester Zeit eine mächtige Fehdearmee ausgehoben und in Marsch gesetzt um den als unüberwindbar geltenden Weißen Limes zu vernichten. Dieser aus besonderem weißen Stein gefertigte Verteidigungswall, der gemeinsam von den Elfen aus Amatyrill und den Klerikern der Reinheit aus Mortem zum Schutz gegen Torog Nai vor mehr als 20 Jahren erbaut wurde, ist das nördlichste Bollwerk des Lichts gegen die Diener der Finsternis.

 

Als wir am Ende eines langen Tages am 28. Oktober endlich den Limes erreichten, sahen wir, dass einige Bakuure schon vor uns angekommen waren und damit begonnen haben Kriegsgerät für die Erstürmung des Weißen Limes heranzuschaffen und zu montieren. Dutzende von beweglichen Belagerungstürmen, Katapulten und Trebuchets standen bereits in Sichtweite des Walls. Während der nächsten zwei Wochen strömten Tag für Tag weitere Bakuure in das Feldlager und die Fehdearmee wuchs weiter an. Den Aussagen des Ra’kam’tars und der immer fortlaufenden Fehdeliste zufolge standen nun mehr als zehn Bak’char’an bereit, den Angriff auf den Limes zu beginnen.

 

Seit meiner Ankunft konnte ich jeden Tag auf der Limesmauer die Soldaten der Kleriker der Reinheit beobachten. Sie gingen weiterhin ihrem normalen Dienst nach und schienen sich von dem Aufgebot der Finsternis nicht einschüchtern zu lassen. Vereinzelt vermeinte ich auch, Elfen auf dem Wall erkannt zu haben, aber sicher bin ich mir im Nachhinein nicht. Insgesamt waren es allerdings wesentlich weniger Soldaten, als ich erwartet hatte, und sie schienen in diesen Tagen auch keine Verstärkung zu erhalten, zumindest nicht auf dem Wall. Was sich hinter diesem abspielte, konnte man von hier im Norden aus nicht erkennen. Ganze Armeen hätten sich dahinter sammeln können und hier im Lager würde das niemand mitbekommen. Die wenigen Soldaten mussten natürlich nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Erstürmung des Limes einfach werden würde. Den Belagerern war nur allzu bewusst, dass er in der Vergangenheit zahlreichen Angriffen standgehalten hatte und so gingen alle davon aus, dass die Verteidigungsstrategie der Kleriker die eine oder andere Überraschung bereithalten könnte. Möglicherweise wären also gar nicht so viele Männer zur Verteidigung notwendig oder es gibt eine Verstärkung, die sich erst im Notfall offenbaren würde. Die Morro’Tai in der Fehdearmee hielten jeden Abend in Hörweite des weißen Limes ihre Gottesdienste ab.

 

Am Morgen des 16. Novembers wurde das schwere Belagerungsgerät erstmals in Position gebracht und man begann mit dem Beschuss auf den Weißen Limes, um die Reichweite der Katapulte und Trebuchets zu kalibrieren. Die ersten Treffer auf den Wall zeigten aber keine große Wirkung. Dieser Umstand schien den anwesenden Tool’Shar’Nai jedoch nicht sonderlich zu erstaunen, fast so, als hätte er dieses Ergebnis bereits erwartet. Der Kommandostab der Belagerungseinheiten erschien mir doch zuerst leicht irritiert, er setzte aber dann den Übungsbeschuss noch für eine weitere halbe Stunde fort.

 

In der darauffolgenden Nacht wurde ich kurz nach Mitternacht unsanft aus dem Schlaf gerissen. Ein markerschütternder Schrei, wie aus einer anderen Welt, hallte durchs Lager und nachdem ich mich notdürftig angekleidet hatte, konnte ich weitere Schreie in nicht allzu weiter Entfernung vernehmen. Als ich versuchte, dem Ursprung der grausamen Laute auf den Grund zu gehen, wurde ich von der Wache des Ordo Umbrarums, die mich ständig begleitete, davon abgehalten, mich dem zentralen Tempelzelt zu nähern. Doch ich musste gar nichts sehen, um zu verstehen, was dort gerade vor sich ging. Man brachte Opfer zu Ehren des Schwarzen Drachen dar und die Gesänge der Kinder Bargaahns klangen gedämpft aus dem großen runden Zelt.

 

Als die Zeremonie ihren Höhepunkt erreichte, begann die Erde unter meinen Füßen zu beben und ich konnte mich kaum auf meinen Beinen halten. Der Mond verfinsterte sich für einen Augenblick und mein Herz schien wie von einer Faust zusammengedrückt zu werden. Es war mir, als würde ich von Dunkelheit und Verzweiflung verschlungen. Dies alles dauerte nur einen kurzen Moment, dann konnte ich mich wieder fangen. Bei Achenar, so etwas möchte ich nie wieder erleben. Als ich meinem ständigen Begleiter einen Blick zuwarf, blickte mich dieser nur mit einem spöttischen Lächeln an. Auf meine Frage, was gerade passiert ist, erhielt ich nur als Antwort, dass ich gerade Zeuge der unendlichen Macht Barghaans werden durfte. Mehr müsste ich jetzt nicht wissen und morgen würden alle meine Fragen eine Antwort finden. Von dem Erlebten immer noch leicht benommen, ging ich rasch wieder zu Bett. 

 

Trotz eines unruhigen Schlafs wurde ich erst richtig wach, als die spätherbstliche Sonne bereits am Himmel stand, und ich befürchtete für einen kurzen Moment, den Angriff verschlafen zu haben. Im Feldlager war es dafür allerdings erstaunlich ruhig und auch in der Ferne war kein Kampflärm zu vernehmen. Sollte der Angriff auf den Wall abgeblasen worden sein? Auf diese Gedanken angesprochen, teilte mir mein Bewacher mit, dass man die Truppen gerade erst in Bereitschaft versetzt hatte und der Angriff zur Mittagsstunde beginnen werde. Ich war nicht schlecht erstaunt über diese Neuigkeit. Man plante den Angriff wirklich für den Zeitraum des Tages, an dem Bahamuths Macht am stärksten war? Das zeugt von einer Zuversicht, die ich in diesem Kriegszug bislang nicht erkennen konnte.

 

Kurz vor der Mittagsstunde wurde die Infanterie dann endlich in Bewegung gesetzt und meine Anspannung wuchs. Die Jaron formten Karrees und marschierten zwischen den Stellungen der Artillerie hindurch auf den Limes zu. Auf einen lauten Befehl hin stoppten die vorrückenden Jaron außerhalb der Reichweite der Armbrustschützen der auf dem Limes stationierten Kleriker und der Beschuss mit dem Kriegsgerät wurde begonnen. Gebannt beobachtete ich eines der ersten Geschosse und rechnete damit, dass die große Steinkugel wie am Vortag am weißen Mauerwerk abprallen würde, ohne nennenswerten Schaden anzurichten. Wie hatte ich mich doch getäuscht! Die Kugel schlug ein und riss ein großes Stück der Befestigung mit sich. Der als unüberwindbar geltende Limes war verwundbar. Immer mehr Geschosse fanden nun ihr Ziel und die Einschläge richteten nach und nach immensen Schaden am Wall an. 

 

Nach etwa einer Stunde des fortwährenden Artilleriefeuers waren an gleich zwei Stellen große Breschen in den Limes geschossen worden. Unter lautem, gleichmäßigen Trommelschlag setzten sich die Bakuure der Fehdearmee wieder in Bewegung. Ich konnte durch ein geliehenes Fernglas kaum noch Soldaten der Kleriker auf den Mauern sehen. Die ohnehin schon wenigen Männer, die den Wall besetzt hatten, waren durch den Geschosshagel und Trümmer der einstürzenden Mauern weiter dezimiert worden und zogen sich nun zurück, um die durch den Beschuss entstandenen Breschen zu verteidigen.

 

Der Sturm auf den Limes war nun in vollem Gange und die ersten Einheiten erreichten die Breschen. Ich hatte mich inzwischen weiter nach vorne gewagt und mit zwei weiteren Bewachern des Ordo Umbrarums an meiner Seite wurde mir dies auch ohne Zögern gewährt. Ich sollte von der Macht Barghaans aus nächster Nähe berichten. In den etwa zehn Schritt breiten Durchbrüchen stellten sich die mit dem Mut der Verzweiflung kämpfenden Kleriker der Reinheit zu einem letzten aussichtslosen Kampf. Keine Gesänge, außer die der Dunklen, waren zu hören und das Schlachten fand schnell ein Ende. Man hatte die Verteidiger einfach überrannt und gnadenlos niedergemacht. Als ich näher kam, konnte ich an den zerstörten weißen Mauern neben den ganzen Blutspritzern auch große schwarze Risse in der Struktur erkennen. Dies waren definitiv keine Schäden, die nur durch die Geschosse herbeigeführt wurden. Bargaahns dunkle Magie hatte ganze Arbeit geleistet. 

 

Am frühen Nachmittag wehten auf allen Abschnitten des nunmehr nutzlos gewordenen Weißen Limes bereits die schwarz-grünen Banner Torog Nais. Der Tool’Shar Nai Sha’id zeichnete einige Jaron aus, die sich während der Kämpfe besonders hervorgetan hatten und es wurden dabei einige Gefangene zu Ehren Barghaans geopfert. Wie ich später erfuhr, hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits berittene Bogenschützen aufgemacht, die wenigen geflohenen Kleriker der Reinheit zu verfolgen. Die Reiter sollten sicherstellen, dass es keine Überlebenden gab, die die Botschaft der Niederlage und damit die Nachricht vom Anrücken des dunklen Heeres weiter nach Süden tragen konnten.

 

Für die Kinder Bahamuths war dies ein wahrlich finsterer Tag und auch mein Herz war in den Stunden nach der Schlacht schwer. Was müssen die Soldaten auf dem Wall gefühlt haben, als ihnen bewusst wurde, dass nichts und niemand sie heute vor der Grausamkeit und der Macht der Finsternis beschützen würde?

 

Im Verlauf des späten Nachmittags wurde der Tross durch den zerstörten Wall geführt und der schier endlose Heerwurm machte sich noch in der Nacht in Richtung Süden auf, den Wäldern Grünlands entgegen. Der Tool’Shar Nai wollte keine Zeit vergeuden und möglichst bald der Order seines Herrn zu entsprechen, die Elfenwälder Grünlands zu unterwerfen. 

 

Als sich der Heerwurm in Bewegung gesetzt hatte und an meinen Augen vorbei zog, konnte ich im Tross erstmals dutzende Wagen erkennen, die offensichtlich mit Fässern voller Öl beladen waren. Mein steter Begleiter gab mir auch hierzu bereitwillig Auskunft. Dieses Öl brauche man, um die üppigen Wälder der Elfen in Brand zu stecken und die in ihnen lebenden Elfen gleich mit. Über die nun folgenden Wochen konnte und musste ich dieses Vorgehen aus nächster Nähe beobachten. Die Schreie der sterbenden Elfen werde ich mein ganzes Leben nicht mehr vergessen können. 

 

Die Bakuure der Fehdearmee rückten von nun an fast ohne Gegenwehr nach Süden vor und auf Befehl des Tool’Shar’Nais setzten sie alles auf ihrem Weg in Brand. Der Rauch verfinsterte den Himmel und der Gestank von verbranntem Fleisch war stets allgegenwärtig. Er durchdrang jede Faser meiner Kleidung und blieb an allem und jedem haften. Über Wochen hinweg konnte kein Wasser ihn gänzlich von mir abwaschen. Außerdem setzte sich der herumfliegende Ruß und Staub hartnäckig in meinem Brustkorb fest und schon bald kam ich aus dem Husten nicht mehr heraus. Der Geschmack auf meiner Zunge ist noch jetzt schier unerträglich.

 

All des Mordens zum Trotz versuchte die Fehdearmee auf ihrem Marsch dennoch, Elfen als Gefangene zu nehmen. Doch gelang dies nur selten, kämpften diese zumeist mit dem Mut der Verzweiflung bis zum Tod, um einem noch schlimmeren Schicksal zu entgehen. Seit der Armageddonsschlacht hat es sicher nicht mehr so viele Tote unter den Elfenvölkern gegeben wie in den letzten neun Wochen dieses Feldzuges.

 

Wenn die Fehdearmee ihren Vormarsch mit dieser Geschwindigkeit fortsetzt, dann wird sie bis Anfang März den Gebirgspass der Arianka erreichen, der den Norden und den Süden Grünlands voneinander trennt. Sollten die Streiter des Lichts noch einen Versuch unternehmen wollen, zumindest einen Teil des Landes zu retten und die flüchtenden Elfen zu beschützen, dann müssen sie sich spätestens an diesem Ort den Truppen Finsternis in den Weg stellen. Sollte dies nicht der Fall sein und Torog Nai auch diesen Pass erobern, so steht ihnen der Weg ins Heilige Reich des Mortem offen.

 

Markus von Sperlingsberg, Ritter des Orden Achenars

geg. am 14. Januar im Jahre 530 nach dem Chaos in den Wäldern von Grünland